Interview Lato Lecobra mit Schwester Thorina - 2

Lato: Ich habe ja auch ein Gespräch mit Schwester Juana geführt gehabt, du hast es sicherlich in der FELD gelesen. Eine Frage aus dem Gespräch möchte ich dir auch stellen: Was sagst du, was sind die Aufgaben der Kirche in der Gesellschaft? Warum brauchen wir eine Kirche im Dorf?

Thorina: Ja, leider habe ich den Besuch von Schwester Juana verpasst. Aber wir tauschen bestimmt noch den ein oder anderen Brief aus.

Die Aufgaben der Kirche.
*hm* Das klingt so groß, dabei fühle ich mich als Priesterin in der Ausbildung noch ganz klein. Es gibt viele Ämter innerhalb der aristotelischen Kirche und verschiedene Ämter sind immer mit unterschiedlichen Aufgaben verbunden. Ich muss gestehen, dass ich da noch nicht alles weiß.

Allgemein betrachtet, stelle ich mir das gerne so vor: Zwei große Brüder, die sich die Hand reichen.
Der eine Bruder heißt "Staat" und ist für Politik, Gesetze und deren Einhaltung zuständig. Er stellt die weltlichen Regeln für die Gemeinschaft auf. Sein Ziel ist ein sicheres Zusammenleben der Menschen in Wohlstand und Ordnung.
Der andere Bruder heißt "Kirche". Er steht für den Glauben und die Verbindung zu Gott. Er soll die Menschen zu einem tugendhaften Leben anregen und kümmert sich um das Seelenheil der Menschen. Das Ziel ist eine friedliche Gemeinschaft, die geistige Gesundheit des Einzelnen und das Reinhalten der Seele.


Lato: Vor anderhalb Jahren hatte ich ein ähnliches Gespräch mit Vater Joseph, auch da ging es um die zwei Säulen und ich sagte damals: Auf einen Stuhl mit nur zwei Beinen sitzt es sich nicht stabil. Will sagen, eine Gesellschaft braucht ein wenig mehr als nur Politik und Kirche. Da ich mich aus beiden, so weit wie möglich heraus halte, hätte ich in dem Bild von den beiden Säulen oder Brüdern keinen Part. Vor allen, da ich mit Seelenheil nicht viel anfangen kann. Kannst du mir das ein wenig erklären? Wie sieht das aus, mit der Reinheit der Seele?

Thorina: Das mit den beiden Säulen klingt ähnlich wie mein Beispiel mit den beiden Brüdern. Vielleicht sehe ich das zu bildlich oder zu einfach. Aber sonderlich komplizierter muss man es auch nicht machen. Sicherlich macht Gesellschaft mehr aus, als die staatlichen und kirchlichen Organisationen. Das liegt daran, dass beide Teil der Gesellschaft sind und nicht anders rum.
Mit Seelenheil meine ich einerseits die geistige Gesundheit des Menschen und anderseits ganz wörtlich: Das Heil der Seele. Die Seele bleibt rein, wenn ein Mensch ein tugendhaftes Leben führt. Aber der Mensch ist nicht perfekt und er wird sündigen. Die Kirche soll helfen, den Weg in ein tugendhaftes Leben zu finden und weiterhin zu gehen.


Lato: Sofern der Mensch sich dabei helfen lassen möchte, nicht wahr? Da wir hier in Freising sind, komme ich nicht drum herum, die folgende Frage zu stellen. Lass mich dafür aber erst mal etwas ausholen: Vor deiner Zeit war hier in Freising Jahre - Jahrzehnte lang Lea Butterfly am Wirken. Du wirst sicher das ein oder andere mal über ihren Namen und den Spuren ihres Wirken gestolpert sein. Ehrlich gesagt, erinnert dein Krückstock stark an den Stock, den sie aus der Folge eines Überfalls benötigte. Sie war lange Zeit Priesterin hier in Freising, ich wurde sogar von ihr getauft. Aber Zeiten ändern sich, die Gesellschaft ändert sich, selbst die Aristotelische Kirche ändert sich, und auch Menschen ändern sich. Das ist generell etwas Gutes, ich bin immer für Änderungen, aber in dem Fall hat sich Lea Butterfly mehr und mehr, nicht vom Glauben, aber von der allgemeinen Aristotelischen Kirche abgewandt. Eine Diskussion darüber, was zu was geführt hat und wer woran schuld hat, ist müßig... aber der Höhepunkt des Streits war vor anderthalb Jahren, wo viel metaphorisches Porzellan zerschlagen wurde. Vater Joseh hatte damals die schwierige Aufgabe auf sich genommen zu versuchen mit einem Gesprächsangebot die Wogen zu glätten.

Warum nun die ganze Vorgeschichte? Nun, ich wollte auch den Leser, der davon nicht viel mitbekommen hat, abholen und damit sozusagen die Motivation für meine nächste Frage erläutern: Wie siehst du den Standpunkt anderer Kirchen, wie die Spinozistische Kirche einer Schwester Juana, in der Gesellschaft? Oder wie geht man mit Menschen um, die etwas ganz anderes glauben, an die alten Götter zum Beispiel oder die Menschen, die gar nicht glauben, dass es ein himmlisches oder überirdisches Wesen gibt? Wie positionierst du dich als Priesterin solchen Menschen gegenüber, denn wir haben solche Menschen hier in Freising?


Thorina: Zu Lea Butterfly möchte ich sagen, dass ich über sie nicht viel in Erfahrung bringen konnte. Es scheint ein sehr wundes Thema in Freising zu sein und trotz meiner Neugier möchte ich nicht in alte Wunden bohren. Zum Streit mit ihr und der Kirche weiß ich nichts.

Zu deinen Fragen.. ehrlich gesagt, habe ich vor Schwester Juana noch nie von der spinozistischen Kirche gehört. Das mag jedoch an meiner kleinen und jungen Welt liegen. Ich weiß selbstverständlich, dass es andere Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt. Wie man mit deren Anhängern umgeht, fragst du? Es sind alles Menschen! Und du weißt, mir sind Menschen wichtig. Gott gab uns allen den freien Willen. Als aristotelische Priesterin in Freising wäre ich für alle Menschen ansprechbar und ich würde auch weiterhin mit Andersgläubigen ein Bier im Ratskeller trinken.


Lato: Ich glaube, das Biertrinken war nicht das Problem... wobei, am Ende schon. Aber eher ging es darum, wie offen man seinen Glauben ausleben darf, davon reden darf, oder gar Werbung machen darf. Aber ich glaube, das ist wieder ein Thema, das würde den Rahmen hier sprengen, zumal weder du noch ich die Regeln dazu machen. Aber wo wir schon bei schwierigen Fragen sind. In dem Gespräch mit Schwester Juana kam an der ein oder anderen Stelle nicht einmal unterschwellig der Vorwurf von Zwang herüber. Nehmen wir mal an, der Vorwurf lautet: Man sei ja gezwungen zur Aristotelischen Kirche zu gehören und deren Regeln zu befolgen. Was würdest du einem solchen Vorwurf entgegen setzen?

Thorina: Ich wurde nicht gezwungen! *lacht*
Also im Ernst.. jemanden zum Beitritt in die Kirche zwingen? Vom Glauben her und was ich bisher in der Ausbildung zur Priesterin gelernt habe, würde das allem widersprechen. Jemand kann überzeugt werden, dass der Weg zu Gott über die aristotelische Kirche der richtige Weg ist. Aber den Weg muss jeder freiwillig gehen.

Vielleicht ist aber auch ein anderer Zwang gemeint. Die aristotelische Gemeinschaft ist groß. Und große Gemeinschaften haben Einfluss und Macht. Und dieser Einfluss oder die Macht wird wie in allen Gemeinschaften auf deren Mitglieder verteilt.
Vielleicht besteht für jemanden der Zwang, sich aus Machtgier so einer großen Gruppierung anzuschließen? Das wäre im Falle der aristotelischen Gemeinschaft eine Sünde. Vielleicht ist es aber auch nur gedankenloser Gruppenzwang? Gerade um das auszuschließen, wird für die Taufe ein kleiner Unterricht mit einem Fragebogen abgehalten.
Denn eines ist wichtig: Gottes Liebe erfährt man nur, wenn man ihm Liebe schenkt. Und das ist mit Zwang nicht möglich.


Lato: Nun, ich bin, wie bereits gesagt, getauft. Ich muss aber gestehen, das war keine wirkliche Glaubenstaufe. Ich hatte mich eher in ein Mädchen verliebt, das ebenso wie du die Ambitionen hatte, Priesterin zu werden. Und als Priesterin einen Heiden zu heiraten ging ja gar nicht. Nun, aus der Hochzeit wurde nichts, aber jetzt bin ich zumindest getauft. Jetzt kann ich beispielsweise auch König werden. Was würdest du sagen, wenn jetzt eine Anhängerin der alten Wege, glaubend an den alten Göttern, versuchen würde, Königin zu werden. Wäre das klug so jemanden zur Königin zu machen? Wäre das in Ordnung so jemanden einfach aufgrund des Glaubens auszuschließen?

Thorina: Ja, ein Ausschluss wäre nicht nur in Ordnung, sondern richtig. Die Diskussionen und den Unmut habe ich in den Ständen mitgehört. Aber für mich ist die Sache klar: Bruder "Staat" und Bruder "Kirche" müssen auf Augenhöhe für das Wohl der Menschen zusammenarbeiten. Die Kirche ist für das Seelenheil jedes Einzelnen zuständig. Auch für eine Königin oder einen König. Ohne aristotelische Taufe ist ein Leben im Paradies nach dem Tode nicht möglich. Die Seele der Königin oder des Königs wäre verloren. Und mit dem Hintergedanken wäre eine Zusammenarbeit zwischen "Staat" und "Kirche" von vornherein massiv gestört. Der Leidtragende ist der einzelne Mensch.

Lato: Hier muss ich noch mal einhängen. Seelenheil ist für mich ein eher ... abstraktes Konstrukt. Und das mit dem Paradies... Ist es nicht völlig egal, in welchen Paradies man landet? Vor allen für die Arbeit hier in dieser Welt. Was macht es für einen Unterschied, welchen Glauben man angehört und in welchen Jenseits man nach dem Tod kommt, wenn man hier auf der Erde seine Aufgabe gut und gewissenhaft erfüllt? Sei es als Bäcker oder als Kaiser?

Thorina: Gott erschuf nicht nur die Welt, sondern auch das solare Paradies. Wir alle haben die Chance nach unserem irdischen Leben dort hin zu gelangen. Alles was Gott verlangt, ist unsere Liebe zu ihm und ein tugendhaftes Leben zu führen.
Von mehreren Paradiesen ist im heiligen Buch allerdings nichts zu lesen. Da bin ich mir sicher.


Lato: Ja, schön und gut – wenn man daran glaubt, dass dieses heilige Buch die... vollständige Wahrheit wiedergibt. Aber andere Glaubensgemeinschaften glauben eben was anders. Diese haben vielleicht eigene heiligen Schriften oder nur mündlich überlieferte Erzählungen.

Ich verstehe, dass die Aristotelische Kirche davon ausgeht, dass man nur mit dem Aristotelischen Glauben am Ende ins Paradies kommt, einfach weil es in ihrem heiligen Buch so steht. Und ich verstehe, dass es der Aristotelischen Kirche schwer fällt, jemanden zu unterstützen, der nach ihrer Überzeugung nicht erlöst wird, also verdammt ist. Darum solle kein höherer Politiker einen anderen Glauben folgen. Doch darauf lief meine Frage von Vorhin hinaus, ist diese Einstellung nicht doch Zwang? Gut, am Ende können sich gerne die kirchlichen und weltlichen Würdenträger um die Umsetzung streiten und diskutieren, Politik ist weniger mein Steckenpferd und deshalb wollen wir das auch nicht in einer großen politischen Diskussion ausarten lassen, sondern ich wollte wissen, wie dein Standpunkt dazu ist.

Letzte Frage: Ich bin getauft und ich würde behaupten, ich führe ein recht tugendhaftes Leben, erfülle meine Bürgerpflichten, halte mich an Gesetze, bringe mich in die Gesellschaft ein, aber ich glaube nicht, dass die Aristotelische Kirche unbedingt im Recht ist, denn ob man Gott nun Gott nennt, oder Odin, Wuotan, Jupiter oder Zeus, oder gar Gaja... es sind doch nur andere Abbilder des Göttlichen. Bin ich mit dieser Einstellung deiner Überzeugung nach schon vom Paradies ausgeschlossen?


Thorina: Nein, ganz und gar nicht. Es gibt nur den einen Gott und ich glaube nicht, dass es ihm etwas ausmacht, wenn du einen anderen Namen für ihn hast. Daran sollte ein Eintritt ins Paradies nicht scheitern.
Deine Frage zum Zwang ist .. mhh .. schwierig und der Vorwurf kommt immer wieder auf. Das habe ich schon mitbekommen. In den hohen politischen und theologischen Kreisen wird regelmäßig darüber diskutiert. Ich habe nicht mal meine Ausbildung abgeschlossen und kenne nicht alle Argumente. Ich reduziere solche großen Fragen daher gerne auf die einfache Gänsemagd oder den Stallburschen von nebenan. Und da bin ich überzeugt, dass es für Beide besser ist, wenn wir ein stabiles und sicheres Reich haben und sie in Freiheit und Sicherheit leben können. Ein aristotelisch-getaufter König bietet dafür höhere Chancen und weniger Konfliktpotenzial, als ein nicht getaufter König.


Lato: Nun, das halte ich ähnlich wie du. Die große Politik machen wir beide eh nich, das dürfen die anderen machen. Mich interessieren tatsächlich mehr die Auswirkungen und vor allen dein Wirken für die einfache Gänsemagd oder den Stallburschen von nebenan. Das hast du uns ja nun etwas näher gebracht, danke dir dafür.

Entschuldige bitte die schwierigen Fragen. Mich interessiert einfach, wie die jungen Leute die Welt sehen. Wir Alten sind schon so fest gefahren in unseren Wegen, Traditionen und Handlungen, dass es schwer fällt, über den Tellerrand zu schauen. Darum ist es mir wichtig, auch die komplizierten Fragen vor der Jugend nicht zu verbergen, sondern sie zu Wort kommen zu lassen. Vielen Dank dir, dass du dich darauf eingelassen hast. Hast du noch etwas, was du als angehende Priesterin, oder als einfach als junge Bürgerin Bayerns den Lesern mitgeben möchtest. Vielleicht gerade den jungen Leuten, die ihre ersten Schritte in ihrem Leben hier in der bayrischen Gesellschaft wagen. Das Wort hast du.


Thorina: Dann möchte ich mich als junge Bürgerin Bayerns bedanken! Ich habe nicht nur durch meine Familie, sondern durch ganz ganz viele anderen Hilfe und Zuspruch erhalten. Das Ankommen in Bayern habe ich sehr positiv in Erinnerung und da hast auch du mitgespielt, Lato LeCobra! Aber sehr viele andere auch. Bayern ist meine Heimat geworden und ich möchte hier nicht mehr weg.
Mein Aufruf an alle neuen Bürger: Traut euch! Schreibt Briefe. Setzt euch ins Wirtshaus. Schaut bei der Tombola vorbei. Es gibt hier so viele liebe Menschen. Kitzelt sie wach!


Lato: Dem Aufruf möchte ich mich gerne anschließen. Vielen Dank dir noch einmal für das Gespräch und vielen Dank für deinen Dienst hier in Freising. Du bist eine wirkliche Bereicherung für unsere Stadt. Viel Erfolg mit der Ausbildung und dass du sie auch erfolgreich Abschließen kannst.

Thorina: Ich danke dir sehr. *lächelt*

FELD 19.Scheiding 1470